Heute lade ich Sie ein, mich auf eine Reise zu begleiten. Eine Reise in die Freuden, die Abenteuer und Frustrationen der Abgründe der Ungeduld. Sie sind zu Gast auf der Bühne des Lebens. Beginnend mit der Beschreibung einer meiner morgendlichen Teilekonferenzen, reisen wir nun los:
Ego States on Stage, please!!
Wie jeden Morgen, schon kurz bevor ein Auge aufgeht, beginnt die Diskussion, wer denn nun heute Morgen aufsteht und wer als erster die Bühne betritt.
Die Prinzessin? Kommt überhaupt nicht in Frage! Keineswegs wird sie auch nur den kleinen Zeh bewegen, bevor nicht der Kaffee serviert wurde.
Genauso wenig wird die Diva das tun, die gerade, angesichts dieser unverschämten Frage, irritiert eine Augenbraue hochzieht. Wieso sollte sie sich aus dem Bett bewegen? Was ist denn das für eine Aufforderung, mitten in der Nacht? Es ist ja schließlich erst 6:00 Uhr! Es kann ja wohl nicht sein, dass man sie überhaupt angesprochen hat. Das muss sie wohl geträumt haben!
Während die Unordentliche noch überlegt, wo sie gestern die Goldsandaletten der Prinzessin verbummelt hat, haben sich der Faulpelz, der Genießer, der elegante Schöngeist und die Trödeltante bereits verbündet und sich den ersten beiden angeschlossen. Im Verbund mit Prinzessin und Diva sehen sie die größten Chancen der Vertretung ihrer Interessen.
Zu diesem Zeitpunkt geben die Gnadenlose und die Ungeduldige, deren Prinzip: “Alles oder Nichts! Und zwar SOFORT!“ heißt, meistens frustriert auf und drehen sich wieder um. Es ist ja am frühen Morgen bereits zu sehen, dass das auch heute wieder NICHTS wird.
Wie immer, wenn Alles und Nichts miteinander kämpfen, gewinnt das Nichts! Nun ist die Bühne frei für den Philosophen, der das Ganze erst mal von einer übergeordneten Warte betrachtet und sich mit dem Träumer und der Esoterikerin auf “ONE DAY ILE (I‘LL)“ begibt. Die Insel der ewigen Ruhe: Eines Tages werde ich! Dort wird erst einmal alles in Ruhe besprochen. Meistens gesellt sich der Idealist dazu, und spätestens jetzt geben die Unternehmerin, der Forscher und die Kreative auf.
Unterstützt werden sie vom Seminar-Junkie, der ihnen freudig zustimmt, man weiß ja schließlich noch nicht genug, um wirklich etwas damit anfangen zu können! Die Gelassene hat die Bühne schon vor Jahren verlassen und hat die Klare und die Entschlossene mitgenommen, was wiederum die Großzügige so sehr bedauert, dass sie die meiste Zeit schmollend in der Ecke sitzt, weil sie viel zu selten mitspielen darf - und in diesen seltenen Fällen vom Neider und vom Finanzberater gleichermaßen belächelt wird.
Während der Heiler noch meckert: „Das tut doch alles nicht gut. Ihr wisst doch alle, dass das ungesund ist!“, mault der Sportmuffel: „Haltet alle die Klappe! Es regnet, es ist zu kalt (oder zu warm) und überhaupt, ich bin zu müde. Lasst uns morgen darüber sprechen.“
Der Kritiker mischt sich schließlich ein und sagt zum Regisseur:
„Ich hab‘ dir gleich gesagt, dass das nichts wird. Nur irgendeiner sollte jetzt langsam mal auf die Bühne!“
„Der vollkommene Weltmann
wäre der, welcher
nie in Unschlüssigkeit stockte
und nie in
Übereilung geriete.“
Arthur Schopenhauer
Woraufhin die Praktische vorschlägt: „Am besten, du sagst dem Bühnenbildner gleich Bescheid. Es muss schließlich umgebaut werden für den ewigen Selbstzweifler und die Unsichere, damit der Vorhang heute überhaupt noch aufgeht!“
Ja, meine Damen und Herren, so geht das jeden Morgen. Seit Jahren. Ach, was sage ich, seit Jahren? Seit Jahrzehnten geht das so.
Und damit nicht genug. Wenn mein Chemiewerk es dann schließlich geschafft hat, irgendeinen ins Labor zu treiben und danach der Kettenraucher dafür gesorgt hat, im Wachzustand zu bleiben, zumindest halbwegs, wiederholt sich die gleiche Diskussion im Badezimmer.
Die Prinzessin will sich sofort wieder hinlegen, die Diva natürlich auch... und so weiter und so fort. Meistens gewinnt der Kettenraucher und setzt sich erst mal gemütlich hin, mit dem Kaffee, der der Prinzessin, ganz im Sinne des Sportmuffels, viel zu früh serviert wurde. Da weder die entschlossene Unternehmerin noch sonst irgendjemand im Haus zu sein scheint, überredet er den Genießer und die Trödeltante, einfach sitzen zu bleiben, bis die anderen sich bequemt haben, die Augen zu öffnen und mal in ihr Skript zu schauen... Und dann? Ja, dann geht die ganze Diskussion natürlich von vorne los.
Der eine will in Ruhe baden, die andere wartet darauf, dass jemand das Wasser einlässt und vorgewärmte Handtücher bereitlegt, der nächste will rasch duschen und so weiter. Wer gewinnt? Erraten! Der Kettenraucher, der nun, bei einem weiteren Kaffee, mit dem Esoteriker darüber verhandelt, ob es nicht besser sei, erst mal eine Meditation zu machen, danach das Augentraining, bevor man überhaupt in Erwägung ziehen könnte, ins Bad zu gehen.
Sollte dies tatsächlich zeitnah geklärt werden können, stellt sich die Frage: Wozu das Ganze? Wenn die von ewiger Aufschieberitis befallene Perfektionistin sich nicht bereits zu diesem Zeitpunkt in Bewegung setzt, wobei sie von der Gastgeberin, in Zusammenarbeit mit der Ungeduldigen, auch ein wenig gezwungen wurde, geht die ganze Diskussion natürlich vor dem Kleiderschrank erneut los. Da die Gastgeberin hier bereits schon unter enormem Zeitdruck steht, damit wenigstens die wichtigsten, existenzsichernden Termine eingehalten werden können, müssen sich jetzt alle beeilen, was natürlich nicht gerade zur Erheiterung der ganzen Gesellschaft beiträgt.
Steht allerdings nichts Existenzbedrohliches an, gewinnt auch hier wieder der Kettenraucher und so geht es den ganzen Tag, Kaffee trinkend und rauchend, weiter. Der Kaffee wird dann am Abend durch andere Getränke ersetzt. Auch dieses Jahr werden schließlich wieder die Milliarden- Einnahmen der Tabaksteuer gebraucht! Uli Stein bemerkte hierzu einst sehr treffend: „Ein schlichtes Danke würde mir schon reichen.“
Tja, meine Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, die Gastgeberin, die ja das ganze Theater leiten musste, war mit sehr, sehr vielen Inszenierungen beschäftigt, ziemlich gestresst und manchmal auch sehr müde. Es wurde immer schwieriger, noch irgendeinen Bewohner von ONE DAY ILE dazu zu bringen, überhaupt aufzustehen und sich anzukleiden, um auf die Bühne zu gehen. So fragte sie sich eines Tages: „Wer ist denn hier eigentlich der Produzent?“ Und vor allem: „Wo? Wo ist er eigentlich? Wo ist denn hier der Auftraggeber, der die Autoren, die Intendanten und Regisseure beauftragt? Wo ist der, der die Kosten übernimmt für dieses Theater?“
ein Wort
ist wie ein warmes Herdfeuer
wie beißende Feuerteufel
ist kühle, heilende Hand
oder alles verschlingender Wasserstrudel
ist Wurzel und Halt
und ein Kerker
ist der Weg der Freiheit
und ein erschossener Vogel
ein Wort
ist keine klingende Münze
kein Automat
ob wandernder Schatten
oder Aufwind
wem vertraust du?
von Daniela Falkenberg
von Andreas Nager
Der verwundete Heiler
Ein fundiertes Fachwissen und technische Kompetenz sind wichtige Voraussetzungen für das erfolgreiche Ausüben eines therapeutischen Berufes. Doch die einseitige Ausrichtung unseres heutigen Gesundheitssystems auf Technik und Fachwissen geht immer mehr auf Kosten der menschlichen Qualitäten. Die essentielle Grundlage jedes wirksamen therapeutischen Arbeitens ist der heiltätige Mensch selber. Jeder therapeutisch tätige Mensch „hat nicht nur eine Methode: er selber ist sie.“ Der Inhalt seiner persönlichen Lebensgeschichte hat einen wesentlichen Einfluss auf den Heilerfolg.
„Nur wo der Arzt selber betroffen ist, wirkt er.“, schreibt C.G. Jung in seiner Autobiographie. „Nur der Verwundete heilt.“ Das Motiv vom „verwundeten Heiler“ dreht sich um den schöpferischen Umgang des Therapeuten mit seiner eigenen Verwundung, seinem persönlich erlebten Schmerz und Leid. Seine an Leib und Seele durchlittene Auseinander-setzung mit eigenen Verletzungen und Nöten ist das Kapital, welches er - neben seinem Fachwissen - mitbringt, um andere Menschen von ihrer Wunde zu heilen. Nur wer den dreistufigen Prozess von Leiden, „Zu-Grunde-Gehen“ und wieder Auferstehen selbst durchlebt hat, ist qualifiziert, mit seinen Patienten in eine Beziehung zu treten, die Heilung ermöglicht. Nur derjenige Therapeut, der einen offenen und bewussten Umgang mit seiner eigenen Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit pflegt, ist imstande, seinem verwundeten Gegenüber in echter Resonanz zu begegnen - mit Einfühlungsvermögen und aufrichtigem Mitgefühl.
Der Archetyp des verwundeten Heilers begegnet uns in der Mythologie, im Schamanentum und besonders eindrücklich in der Person von Jesus.
Die großen Heilkundigen der griechischen Mythologie, wie Chiron oder Asklepios (Äskulap), wurden erst durch die bewusste Auseinandersetzung und Überwindung ihrer persönlichen Verwundungen zum Heilen befähigt. Sie alle mussten aufgrund ihres Leidens den Abstieg in die „Finsternis der Unterwelt“ begehen. Durch die Konfrontation mit ihrem Unbewussten, durch die Aussöhnung mit ihren „inneren Dämonen“ konnten sie ihr Bewusstsein erweitern.
Im Altertum herrschte die Vorstellung, in jeder Krankheit sei Göttliches wirksam. Folglich konnte eine Krankheit nur durch das Göttliche geheilt werden. Nur dem, der den Abstieg ins Dunkel der Unterwelt gewagt hatte, stand der Aufstieg zu den Göttern und die daraus resultierende Heilung offen. Heilung geht immer mit einer Bewusstseinserweiterung einher.
Symbol des Arztberufs ist der „Äskulapstab“, ein Stab, um den sich eine Schlange windet. Das nach oben Kriechen des erdverbundenen Tieres symbolisiert den zur Heilung erforderlichen Bewusstwerdungsprozess. Eigentliche Aufgabe eines Arztes ist es also, seinen Patienten auf seinem Weg zu einem höheren Bewusstsein zu begleiten. Ob dies mit dem – heutzutage gängigen – bloßen Verabreichen eines Medikaments erreicht wird, ist zu bezweifeln. Die für jeden Heiler notwendige Fähigkeit, eine Verbindung zwischen Irrationalem und Bewusstem zu schaffen, veranschaulicht auch Chiron, der Lehrer von Äskulap und wohl bekannteste verwundete Heiler der Antike. Er war ein Kentaur: halb Mensch, halb Tier.
Auch im Schamanentum unterschiedlicher Stammeskulturen begegnet uns das Motiv vom verwundeten Heiler. Im Verlaufe seiner Initiationskrise muss der designierte Schamane die drei Stadien von Leiden, Tod und Auferstehung durchlebt haben, bevor er in den Kreis der „Erwählten“ aufgenommen wird. Nur über das eigene schmerzhafte Erleiden von oft dramatischen physischen und psychischen Symptomen erfährt er eine innere Wandlung, die ihn schließlich befähigt, die heilige Rolle eines Medizinmanns und Heilers zu übernehmen.
In der Einsamkeit der Wildnis, ganz auf sich selbst gestellt, begeht er den Abstieg in die Unterwelt. In der Konfrontation mit übernatürlichen Kräften und Geistern lernt er, schöpferische Wege zu finden, die ihn von seiner Verwundung oder Krankheit heil werden lassen. Dieser intensive Prozess öffnet ihm die Tore zu verschiedenen Bewusstseinszuständen. Er wird zum Vermittler zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt.
Der bedeutendste Brückenbauer zwischen den zwei Welten war ohne Zweifel Jesus. Sein Dasein im Spannungsfeld von Mensch-Sein und Gott-Sein erforderte viel Kraft. Es war von hoher Intensität, voller Herausforderungen. Nicht erst seine Kreuzigung, sondern viele vorherige Stationen seines bewegten Lebenslaufs zeugen von einer tiefgehenden Begegnung mit Leid und Schmerz: die vierzig Tage in der Wüste, seine Begegnung mit dem Teufel, die Anfeindungen durch das eigene Volk, die Todesängste am Vortag seiner Hinrichtung. So paradox es klingt: Diese Verwundungen erst machten ihn heil, machten sein Wesen vollkommen. Sie weckten seine Barmherzigkeit, verliehen ihm sein unbegrenztes Mitgefühl, formten ihn zum „Heiland“, zum Heiler und Erlöser der Welt.
Wie wir am Vorbild der antiken Heiler, der Schamanen und von Jesus erkennen können, erfordert wahre Heilkunst mehr als fachliche Kompetenz. Sie erfordert den ganzen Menschen. Vor allem bedarf sie der Fähigkeit des Heilers, Verbindung zu schaffen und mit leidenden Mitmenschen in mitfühlende Resonanz zu gehen. Dies kann nur derjenige, der an eigenem Leib und eigener Seele Leid und schmerzliche Verwundungen durchstanden und ihren entwicklungsfördernden Sinn erfahren hat. Nur der verwundete Heiler, der durch bewusstes Ringen mit dem Dunkel seiner Unterwelt den Kontakt zum Licht eines übergeordneten Sinns gefunden hat, wird zum erfolgreichen Mittler und Medium zwischen Diesseits und Jenseits. Durch ihn können Erde und Himmel einander berühren. Diese Verbindung ist die Wurzel wahrer Heilung.
Angelika – Engelwurz
Angelika, Angelika,
Du stehst auf meiner Wiese.
Dein Blütenduft weht in mein Haar,
ich will die Augen schließen.
Und träume dann,
Du kommst zu mir
und nimmst mir meine Angst.
Du bist so groß,
ich weiß genau,
dass Du das sicher kannst.
Im Herbst dann
nehme ich Dein Rohr
und schnitz mir eine Dose.
Da leg ich meine Ängste rein
und steck sie in die Hose.
Da sind sie dann
ganz nah bei mir,
sie sind mir wohl bekannt.
Die Dose aus Angelika,
die hat sie fest gebannt.
Angelika, Angelika,
Du bist so groß und schön.
Du hältst mir meine Seele warm,
mir kann nichts mehr geschehen.
von Insa Hilbers & Roswitha von der Graefe
von Willi Chmielewski
(…) So ging der zehnte Tag der Flucht zu Ende. Es blieben die ängstlichen Gedanken: „Wie wird es wohl morgen sein?“ Heilsberg war die größte Stadt, die wir passieren mussten. In den Häusern für
15000 Einwohner hatten sich die Russen festgesetzt. Würden da auch richtige Straßenkämpfe entstehen? Nur kurz waren die Sorgen über den nächsten Tag, wir waren so müde, dass wir die Sorgen und
den Hunger vergessen hatten und dank des Liegeplatzes unter dem Tisch, bald eingeschlafen waren.
Nachbetrachtung: Wir hatten keine Gelegenheit Radio zu hören. Hitler hatte zu seinem zwölften Jahrestag der Machtergreifung eine Rede gehalten, so als hätte er noch Macht. Diese für uns
verlustreichen, traurigen Tage waren verhältnismäßig klein und unbedeutend, gegenüber den Erlebnissen, die andere erleiden mussten. So geschah in dieser Nacht, in der Heinrich mit Willi
unter dem Tisch (wohlbehütet) geschlafen hatte, die größte Schiffskatastrophe der Welt. In dieser Nacht war das mit Flüchtlingen überladene Schiff, die „Wilhelm Gustloff“, von einem russischen
Unterseeboot torpediert worden. An der Unglücksstelle herrschte eisige Kälte und starker Schneesturm. (Es war wohl dasselbe fürchterliche Wetter gewesen, dass am 29. Januar im Heilsberger -Kessel
getobt hatte.) In wenigen Minuten sank das große Schiff mit den Flüchtlingen, die sich schon geborgen fühlten. Nur wenige wurden aus dem eiskalten Wasser mit Unterkühlung gerettet.
Nach neusten Aufrechnungen starben bei dieser größten Schiffskatastrophe der Geschichte, 9343 Menschen, also annähernd der zehntausend Menschen. Im Vergleich: bei dem legendären Untergang
der Titanic – von dem mehr gesprochen wird – starben 1517 Menschen.
Wie groß muss die Engelschar sein, um allen in Not geratenen Menschen zu helfen?
In aller Stille gingen in unserem voll besetzten Raum fast alle Menschen schlafend in die Nacht hinein. Wir hörten auch den Kriegslärm nicht, der uns ständig durch einen Schusswechsel
verschiedener Lautstärken begleitet hatte.
Doch was war mit mir denn so plötzlich los? Ich wurde unruhig, - keiner ruft mich - keiner stößt mich an,- und doch bin ich schlaftrunken wach. Ich richte mich ohne einen erkennbaren Grund
auf. Es ist dunkel und ich sehe niemanden. – Hatte ich meinen Verstand verloren? Wie von einem unsichtbarem Geist getrieben, verlasse ich auf Knien kriechend die Schlafstelle unter dem Tisch,
stehe auf und wandere in diesem dunklen überbelegten Zimmer, ohne etwas anzuecken oder einen auf dem Fußboden liegenden Menschen zu treten, zur Zimmertür. Ich musste wohl in diesem
Augenblick ein anderes Augenlicht gehabt haben, ohne das gewöhnliche Tasten erreichte ich auch die Treppe und wahrlich mit Engelshilfe stieg ich diese in völliger Dunkelheit herunter. Ich
öffnete die Haustüre und stand nun in der kalten, verschneiten Winternacht draußen auf der Straße. – Warum das alles? Nun, eine Toilette zu suchen brauchte ich nicht, denn ein Körper, der zwei
Tage nichts gegessen und nichts getrunken hatte, brauchte so etwas nicht! Die Hauptstraße, die vor mir lag, war menschenleer. Kein Wunder, denn es herrschte ein Stopp. Vor uns in Heilsberg war
jetzt schon russisches Gebiet, da wollte niemand hin. Meine Augen gingen nach rechts gen Westen und sahen einen von einem Schimmelpferd gezogenen Kastenschlitten näherkommen.
Wie der Schlitten quer vor mir im ruhigen Schritt gezogen wurde, musterte ich nur diesen. Keine andere Bewegung lenkte mich davon ab. Etwas Besonderes hatte er schon, denn es war ein
Arbeitsschlitten zivilen Ursprungs (einen militärischen Schlitten habe ich noch nie gesehen). Hinter dem Schlitten war ein erbeutetes russisches schweres Maschinengewehr angebunden. Auf dem
Schlitten saßen fünf deutsche Soldaten in Wintermänteln und Ohrenschützern. Und unter einer übergehängten Wolldecke lugte das schmale Gesicht unserer hübschen, siebzehnjährigen Nachbarin, Traute
Lorenz heraus! Erstaunlich schnell erkannten wir uns gegenseitig und riefen uns zu. Traute hatte die Soldaten gebeten, anzuhalten. In aller Eile tauschten wir unsere Schicksale aus. „Kommt
doch mit“, rief Traute. Mit welcher Überzeugung die Soldaten Traute auf ihren Schlitten aus der Familie nahmen, lag auf der Hand. Die Soldaten ahnten von dem drohenden Schicksal der Flüchtlinge.
Der Unteroffizier, der ihr im Kellerquartier von Samlak seine Liebe schwor, hatte sie aufgeklärt, in welcher Gefahr sie sich befand, und dass dies ihre letzte Rettung wäre.
Mandela
Er lebt in allen, wenn wir alle unser Licht leuchten lassen. Dann geben wir anderen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir alle beginnen, aus uns dieses Licht der Ewigkeit hervor zu bringen,
wird sich für uns etwas Grundlegendes ändern: Wir werden sehen lernen. Wir werden uns wahrnehmen. Wir werden uns erkennen als ewige Momente der fließenden Richtungen, in denen wir gemeinsam das
Ganze erzeugen. Wir werden wissen, dass die Erscheinung der Dunkelheit nichts anderes als die Tiefen unserer eigenen Schönheit sind, aus der wir unsere liebevollen Ideen schöpfen, um neues Leben
zu erschaffen. Wir werden spüren, dass der Raum uns geschenkt wurde, um Freiheit zu erfahren. Frei von Vergänglichkeit und Begrenzungen, frei von Hochmut und von Angst gebären wir alle dieses
Licht, als Mütter und Väter des einen großen Geistes. In diesem Geist sind wir der Strom, der sich immerzu selbst hervor bringt.
Wenn wir leuchten, beginnen wir zu fühlen, dass alles, was wir anderen antun, uns selbst verletzt und jeder Moment, dem wir unsere Liebe schenken, wird ein Funken im Herzen unserer Schöpfung
sein.
Von Ilka Luiken
Blattgeflüster
Oben, hoch oben blicke ich in die Weite. Ich bin still, ganz still, bewegungslos, ruhe schweigend. Vieles könnte ich erzählen von Tagen und Nächten, von rauen Zeiten und sanften Sonnenaufgängen.
Ich habe zwei Seiten, bin dunkel und hell, glatt und rau, spitzig und rund, einfarbig und bunt. Bin schon alt, warte auf die nächste Phase, in der ich mich wieder verändere. Ein Wind kommt auf,
ich beginne zu tanzen, flattere und schnattere.
Ich spende dir Schatten, wenn die Sonne zu heiß brennt. Ich sehe den Schein des Mondes, hell und klar und spüre den Regen, der mich erfrischt und reinigt. Aber jetzt muss ich gehen.
Ich beginne zu fallen, segle, taumle, schwebe anmutig zu Boden. Ich schrumpfe, werde bröselig und braun, verbinde mich mehr und mehr mit der Erde, bis ich wie sie bin.
Warte bis zum nächsten Jahr. Dann komme ich wieder. Zart und klein zunächst, langsam größer werdend, entfalte ich mich zu meiner vorbestimmten Form. Und das Leben beginnt neu.
Friesa Mintken
von Anita Balcke-Küster
…. Da geschah etwas Außergewöhnliches. Es fielen weiße Federn vom Himmel. Kleine, weiche, zarte Federn. Wenn man sie berührte, hatte man das Gefühl, der Himmel persönlich berühre einen. In diesem
Moment wurde sich das Einhorn der Kraft, der es zugeteilt war, wieder bewusst. Es war ein Wesen des Himmels.
Über die große Verzweiflung des Einhorns legte sich ein "himmlischer Frieden". Es spürte, es war nicht allein. Es war, als würde jemand es begleiten, ganz nah bei ihm sein und ihm Kraft
geben. Da schloss es die Augen, atmete tief ein und aus und machte nichts weiter, als sich mit dieser himmlischen Kraft zu verbinden.
Über diese Verbindung kam die innere Ruhe zurück und die Erkenntnis, dass - wenn man vertraut - das Leben immer gut und göttlich für einen verläuft. Aber die wichtigste himmlische Botschaft war
wohl, dass es im Leben nur einen Weg gibt, nämlich den des Herzens. Und so lebten das Einhorn und der Bär glücklich bis an ihr Lebensende.
Und die Weisheit der Geschicht: Vertraue der himmlischen Macht, welche über dich wacht, vertraue dem Licht, welches über dein Herz zu dir spricht!
Von Fritz Stefan Valtner
Ratzfatz hatte ich den Zaun überwunden und lief so schnell wie ich konnte zum Anbau rüber. Den hatte ich noch nicht inspizieren können. Zum Glück stand die Tür zum Arbeitsraum etwas offen und ich
flutschte hinein. Ich hatte Glück, dass mich keiner gesehen hatte. Jetzt konnte ich in aller Ruhe jeden Quadratzentimeter abgehen, ohne dass mich einer störte. Es gab viel zu entdecken. Dann
stand ich vor einem Karton. He, den kannte ich. Den hatte ich doch schon einmal beschnuppert. Was war das? Der Deckel stand offen. Ich hangelte mich hoch und fiel dann in den Karton hinein. Er
kippte um und fiel so unglücklich, dass ich nicht mehr heraus kam. Jetzt war ich gefangen. Gute Nacht! Wer soll mich jetzt hier finden?
Draußen tat sich nicht mehr sehr viel. Offensichtlich war mein Ziehvater mit dem Mähen des Rasens fertig. Ich hörte kein Motorengeräusch mehr. Dann wurde etwas hinein geschoben in den Raum, wo ich festsaß. Dann fiel die Tür schwer ins Schloss.
In meiner Aufregung hatte ich vergessen, mich bemerkbar zu machen. Jetzt war ich allein in dieser blöden Kiste eingesperrt. Zum Glück waren noch ein paar Kleidungsstücke im Karton.
Die legte ich mir zurecht und machte es mir etwas gemütlich, in der zarten Hoffnung, dass bald einer kommt und mich aus dieser dummen Lage herausholt.
Aber scheinbar wurde ich nicht vermisst. Das gab es doch nicht! Die vermissten mich einfach nicht. Nach einer gefühlten Stunde zog ein feiner Geruch um meine Nase. Hatten die etwa den Grill angemacht, ohne auf mich zu warten? Ich wurde schon ganz wild in meinem Karton. Aber je mehr ich hier drin herum tobte, umso stärker schien er sich zu verkanten und dadurch wurde der Deckel immer stärker gedrückt, so dass er sich kaum mehr lösen konnte.
Plötzlich stieg mir der Geruch einer zarten Putenbrust in meine Nase. Mir lief das Wasser im Munde zusammen. Was mich jetzt wirklich wütend machte, war die Tatsache, dass meine Schwester, die
Faulenzerin, jetzt von dieser zarten Putenbrust einen Happen nach dem anderen abbekommt, während ich hier schmachten musste. Ich versuchte so laut ich konnte zu miauen. Aber mehr als ein Krächzen
bekam ich nicht heraus. Da kann ich nur neidisch auf meine Schwester schauen. Die kann stundenlang miauen und das in einer Lautstärke, die selbst die Kaffeemaschine übertönt. Die hört man
überall. Aber ich? Ich kann das leider nicht. Oder bin ich einfach zu dumm dafür? Ich weiß nicht, was mir in diesen Minuten durch den Kopf ging.
Noch Stunden später zog mir der Duft der Putenbrüstchen durch die Nase. Waren die immer noch nicht fertig damit? Sollte ich hier verhungern und draußen merkt keiner, dass ich nicht anwesend bin?
Eigentlich unfassbar. Es wurde schon langsam dunkel, dies konnte ich durch ein kleines Loch im Karton sehen.
Dann hörte ich, wie man mich rief. “Rusty, wo bist du? Wo ist denn unser Käztzelein?” Wie blöd, ich war doch hier. Hier im Karton! Wo suchen die überhaupt? Plötzlich ging die Tür auf.
“Rusty, bist du hier?” Bevor ich die Situation erfasst hatte und ein leichtes Krächzen hervor brachte, war die Tür schon wieder zu. War das alles? Von draußen hörte ich, dass man immerzu meinen
Namen rief. Aber wie sollte ich antworten? Dann hörte ich zu allem Überfluss noch meine Ziehmama sagen: “Sie wird hoffentlich wieder kommen? Jetzt können wir nur noch abwarten.” „Toll“, dachte
ich noch bei mir, „da sitzt du hier fest und die bekommen das nicht einmal mit.“ Es wurde eine lange Nacht.
Am nächsten Tag versuchte ich schon frühzeitig zu lauschen, ob sich bei denen schon etwas tat. Aber alles blieb still. Sollte ich etwas verpasst haben? Dann aber hörte ich, wie das Garagentor
hochgefahren wurde. Ich hörte das Starten des Motors. Türen gingen auf, das Garagentor fuhr wieder runter. Der Motor heulte kurz auf und dann eine untrügliche Stille. Fahren die einfach weg? Das
gibt es doch nicht. Keine Suche nach mir? Einfach nichts! Haben die mich schon abgeschrieben? Oder was? Ich spürte, wie in mir die Wut hochstieg, aber ich musste ja ruhig bleiben. Ich versuchte
das Loch im Karton zu vergrößern. Aber das war ein sehr schwieriges Unterfangen.
Ich kam mir vor, als wäre ich in Fort Knox und versuchte dort auszubrechen. Eine meterdicke Mauer mit einem Teelöffel zu durchbrechen. Wahnsinn! Eine Aufgabe fürs Leben. Wie viele Leben habe ich
schon hinter mir, dachte ich bei mir und machte noch eine Zeit weiter. Aber eine Vergrößerung des Loches konnte ich nicht feststellen. Ich legte eine Pause ein. Stunde um Stunde machte ich dann
weiter. Aber einen Erfolg konnte ich nicht sehen. So verging wieder ein Tag. Eines aber plagte mich noch viel mehr, und das war der Hunger. Wenn ich da an den Duft der Putenbrüstchen von gestern
dachte, lief mir das Wasser aber als Sturzbach im Munde runter. Jetzt hatte ich nicht nur Hunger unter den vier Achseln sondern auch noch Durst ohne Ende.
Ich kam mir vor, als würde ich schon wochenlang durch die Wüste Gobi laufen. Ich war mit den Nerven am Ende. Ich hörte schon Stimmen, die es gar nicht gab. Aber so sehr ich mich anstrengte,
draußen war es absolut still. Keine Stimme, kein Auto, kein Quäken meiner Schwester. Wo waren die eigentlich? Hoffentlich kommen die bloß bald wieder zurück. Ich war schon der Verzweiflung nahe,
oder konnte ich schon “dem Wahnsinn nahe“ sagen? Ich wusste es nicht. Verflixt und zugenäht, wo waren die nur? Die Zeit lief so langsam dahin, dass ich wirklich bald dem Wahnsinn nahe kam.
Nach Stunden, oder waren das schon Wochen gewesen, hörte ich ein Geräusch, das mich aufhorchen ließ. Kam mir bekannt vor. Ich hörte eine Klappe. War doch nur der Briefträger. Mensch, wo war die
Dienerschaft bloß? Ich hänge hier fest, kann mich kaum bewegen und die streifen irgendwo in der Weltgeschichte umher. So ein verdammter Mist. Trotz meiner miesen Lage versuchte ich es mir so
bequem zu machen, wie es die Umstände zuließen. Ich schlief ein.
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