Leseproben


Aus: Brustkrebs - was willst du mir sagen?

Die Diagnose Krebs ist für die Betroffenen ein Schock. Das komplette Leben wird auf den Kopf gestellt, und ganz neue Prioritäten müssen gesetzt werden. Zunächst steht die ärztliche Behandlung im Vordergrund. Man befolgt meistens Schritt für Schritt die Untersuchungen und Anweisungen der Ärzte, bevor die Auseinandersetzung mit der bösartigen Dimension der Erkrankung erfolgt.

Alle Frauen, die sich an diesem Buch beteiligt haben, sind genau wie ich eines Tages vom Brustkrebs überrascht worden und wollten das zunächst nicht wahrhaben. Der Verlauf vom ersten Verdacht bis zur Diagnose, von der Operation über die Therapien bis hin zu den Kontrolluntersuchungen ist bei jeder Frau anders und trotzdem sehr ähnlich. Der Krebs krempelte zunächst das gesamte Leben um, schränkte die Freiheit ein und veränderte die Abläufe des Alltags grundlegend. 

Jede Frau hat auf ihrem Weg ein anderes Erfolgsrezept beherzigt – dass es eines war, ist mancher von ihnen gar nicht bewusst gewesen, aber es hat funktioniert, denn sonst hätten sie inzwischen nicht schon viele Jahre überlebt! Die meisten Frauen haben sich zunächst informiert – im Internet, über einschlägige Literatur, beim Arzt, bei Freunden oder anderswo. Es gibt wirklich erstklassige Bücher mit hilfreichen Angeboten, informativen Texten und ermutigenden Geschichten. Doch für all diejenigen Frauen, die sich die Fragen stellen: „Warum gerade ich?“ und „Was darf ich von meinem Krebs für die Zukunft lernen?“, soll nun dieses Buch Antworten geben. Jedes Jahr erkranken mehr als 70 000 Frauen, allein in Deutschland, an Brustkrebs – vielleicht kann dieses Buch ihnen Lösungen anbieten und Mut machen. 

Meine Überzeugung ist, dass jeder Mensch durch die Krankheiten, die er durchleben muss, auch Hinweise von seinem Körper erhält, um daraus lernen und reifen zu dürfen. Beim Schnupfen kann jeder vermuten, dass man „die Nase voll“ hat von etwas, oder bei Magenschmerzen, dass einem eine psychische Belastung „auf den Magen schlägt“. Aber bei Krebs!? Nein, es ist wohl kaum vermittelbar, dass jemand den Krebs womöglich selbst „verursacht“ hat. Aber vielleicht doch? – Nun war ich selbst an Brustkrebs erkrankt und stehe nicht mehr außen vor mit meiner gewagten Theorie, sondern mittendrin. Ich denke immer noch, dass Krebs eine Chance ist, im Leben etwas zu ändern. Oder er gibt der müde gewordenen Seele die Gelegenheit, sich ganz bewusst auf den Sterbeprozess einzulassen. Beides ist vollkommen in Ordnung! Die Krankheit kann ein Weg sein, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen – ohne Verurteilung oder Schuldzuweisung, aber mit dem Ziel, mit neuem Lebensmut in die Zukunft zu blicken. Jede Frau auf ihre Weise und auf ihrem eigenen Weg, weil die Krebserkrankungen so individuell sind wie wir Menschen. Mit meinem Buch möchte ich die Leserinnen ermuntern, diesen Weg zu finden!

Viele Frauen haben sich erst durch den Fragebogen zu diesem Buch selbst reflektiert und im Nachhinein verstanden, auf welche Weise sie diese für sie oftmals wirklich schwere Zeit überstanden haben. Überraschend viele Frauen haben in der Zeit ihrer Krebserkrankung Tagebuch geschrieben, worauf sie bei ihrer späteren Reflexion zurückgreifen konnten. Genauso viele fanden nicht die Kraft, sich noch einmal mit dem Thema zu beschäftigen, und waren nicht in der Lage, frühere Aufzeichnungen noch einmal zu lesen. Von daher noch einmal mein herzlichster Dank an alle beteiligten Frauen, die bereit waren, sich erneut mit dieser intensiven Erfahrung auseinanderzusetzen und mir zu antworten!

Ich werde auch komplementäre Heilmethoden vorstellen, die von den Frauen in ihren Geschichten erwähnt und die sie in ihren Heilungsprozessen genutzt hatten. 

Jede Leserin kann sich mit der Vielfalt an Perspektiven in irgendeiner Weise angesprochen fühlen und motiviert sein, sich auf den Weg zu machen, um ihre persönlichen Antworten auf die Frage zu finden: Warum gerade ich? Ich hoffe, dass auf diese Weise ein Mutmacher-Buch entstanden ist, von dem viele Frauen und ihre Angehörigen profitieren können. Es ist sinnvoll, sich auf die Suche nach der „Lernaufgabe“ zu begeben, zu der uns der Brustkrebs herausfordert. 


Aus: Das Helga Köhne Wildkräuterbuch

Für Pflanzen hatte sie immer ein Herz. Schon als kleines Mädchen schützte Helga Köhne die ersten Schneeglöckchen in den Beeten mit einem Mooskränzchen, damit sie es nicht so kalt hatten. Später, als Erwachsene, war ihr klar, dass es im Grunde umgekehrt ist: Die Pflanzen können uns Menschen Schutz und Hilfe bei Krankheiten geben. Die Natur liefert uns auch alles, was wir zum Leben brauchen. 

Helga war in jungen Jahren in der ganzen Welt unterwegs. Sie arbeitete unter anderem bei der Lufthansa und ironischerweise sogar in der Agrarchemie. Hier bekam sie wichtige Einblicke, die ihre Einstellung zur Natur maßgeblich beeinflussten. Nach einem Unfall, der sie bleibend körperlich stark einschränkte und sie berufsunfähig machte, kam sie wieder auf ihren elterlichen Hof zurück. Diese Zeit war für sie sehr schwer, weil sie auch ihre mittlerweile pflegebedürftige Mutter versorgen musste. Mit ihrer körperlichen Einschränkung musste sie auch bei der Bewirtschaftung des Hofes viele Abstriche machen, aber daraus entwickelte sich im Laufe der Jahre ihr „wildes Paradies“. Sie lernte die Wildpflanzen, die in den Augen der Anderen Unkraut waren, als Schätze zu erkennen und zu nutzen. Sie zauberte sogar die köstlichsten Speisen aus ihnen, frei nach dem Motto „Gibt dir das Leben Zitronen, mache Limonade daraus!“. 

Den Unfall, gekoppelt mit der Rückkehr nach Hause, empfand Helga im Nachhinein als lebensrettend, denn das gab ihr die Chance, ihr gesamtes Leben um 180 Grad zu drehen. Ihr wachsendes Interesse an Umweltthemen veranlasste sie, ein dreijähriges Kontaktstudium in Oldenburg zu absolvieren. Während des Studiums widmete sie sich wieder mehr und mehr der Pflanzenkunde und wurde schließlich von ihren Mitstudenten animiert, ihr Wissen in Kursen anzubieten. Diese daraus entstehenden Seminare erfreuten sich einer wachsen¬den Beliebtheit. Am Anfang kamen die Teilnehmer von weit her zu ihr. Sogar aus Italien und Norwegen waren sie angereist, irgendwann kamen sie auch aus der Nachbarschaft. Das freute Helga ganz besonders. Denn das Naheliegende ist oftmals tatsächlich das Beste. „Vor unserer Haustür wächst im Prinzip alles, was wir für unsere Gesundheit brauchen”. „All’ns vör use Döör“ (von Ulla Haschen und Karl-Heinz Heilig, Anm. d. Red.) ist auch der Titel des 2007 erschienenen Dokumentarfilms über das Leben und Wirken von Helga Köhne aus Bohlenberge, einem idyllischen Ortsteil der Gemeinde Zetel in Friesland nahe der Nordseeküste.

Die zahlreichen verborgenen Fähigkeiten der Wildpflanzen, die so viel wirkstoffreicher sind als ihre kultivierten Vettern, kannte Helga wie kaum eine Zweite: „Man kann ganz ohne Pülverchen und Tabletten eine hochdosierte Vitamin- und Vitalstoffkur durchführen”, sagte sie oft. Helgas Überzeugung war, dass Menschen Lebensmittel und Pflanzen mit allen Sinnen erfahren müssen, um sie wirklich kennenzulernen. „Sehen, fühlen, riechen, schmecken“, wer so an Pflanzen herangeht und sich von seiner Intuition leiten lässt, der weiß auch, ob die fragliche Pflanze gut für ihn ist. Dies bekam die Kräuterkundige in ihren Seminaren oftmals bestätigt. Immer wieder suchten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Helgas weitläufigem Garten intuitiv genau die zurzeit für sie „richtigen” Pflanzen heraus, ohne vorher deren Namen oder Wirkungsweise zu kennen. „Natürlich ist es im zweiten Schritt wichtig, sich bei unbekannten Pflanzen von einem naturkundlichen Arzt oder Heilpraktiker über Wirkung und Anwendung der Pflanze unterrichten zu lassen.“ 

Wer meinte, Wildpflanzen wie Giersch, Brennnesseln oder Franzosenkraut seien zwar gesund, könnten jedoch unmöglich schmecken, den überzeugte Helga Köhne vom Gegenteil. Denn ein Verkosten der zubereiteten Pflanzen gehörte bei ihr immer dazu: „Es darf nie gesund – es muss immer nur gut schmecken.”  Von vielen wurde sie deswegen die Aufstrich-Königin genannt.

 

Süßer Hagebutten-Aufstrich (frisch)

 

Man nehme die reifen roten Früchte der Rosa rugosa (Kartoffelrose). Die Hagebutten werden gewaschen, man entfernt die Blüte und den Stiel, schneidet sie auf und entfernt dann die Kerne. Die fertig vorbereiteten Hagebuttenschalen (das komplette rote Fruchtfleisch) nun mit etwas Honig mit dem Stabmixer pürieren. In dieser Form bleiben viele Vitamine wunderbar erhalten, da nichts erhitzt wird. Der Aufstrich ist im Kühlschrank einige Tage haltbar. Er lässt sich (nur mit Honigzugabe!) sehr gut einfrieren. Besonders das Entfernen der Kerne ist eine sehr zeitaufwändige Arbeit. Helga empfiehlt daher, eine kleine Menge vom Aufstrich herzustellen, die Familie probieren zu lassen und wenn die Familie begeistert ist, spannt man sie beim Herstellungsprozess mit ein. (Wer mitessen will, muss mitarbeiten!)

 

Helga Köhne: „Da diese Delikatesse ausnahmsweise etwas mehr Arbeit kostet, muss die ganze Familie mithelfen. Die Kerne und andere Reste nicht wegwerfen, sie werden für Tee getrocknet. Wenn ich etwas in die Hand nehme, soll auch alles verwertet werden! Damit es nicht ganz so mühsam ist, nehme ich gern die Kartoffelrose (Rosa rugosa). Ein Festessen wird bei mir mit selbstgemachtem Eis und Hagebutten-Honig-Mus gekrönt.“

 

„Viele kleine Leute in vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun,

können das Gesicht der Welt verändern.“ (Afrika)

 

Helga als Impulsgeberin – von Theresia de Jong (Herausgeberin)

 

Den Tag, an dem ich Helga kennenlernte, werde ich nie vergessen, obwohl inzwischen circa 25 Jahre vergangen sind. Ich hatte mich zu einem ihrer legendären Wildkräuterkurse angemeldet, der in der Zeitung angekündigt war. Damals wusste ich natürlich noch nicht, dass sie legendär werden würden. Dort wurde ich von einer Frau empfangen, die sofort in jedes Märchen gepasst hätte: Eine grüne Schürze, die Haare mit einem nach hinten geknoteten Kopftuch gebändigt, die Füße in Birkenstock-Sandalen und ein überaus herzliches, mütterliches Lächeln. „Wow, dass es sowas noch gibt“, dachte ich damals überrascht. In ihrem Seminarraum unter dem Dach stand ein langer Tisch überladen mit allerlei Leckereien und vielen Teekannen aus Glas. In ihnen sah ich allerlei frisches Grünzeug. 

Diese Tees wurden verdünnt getrunken. Dazu wurde ein wenig Tee aus der Kanne durch ein Teesieb in die Tasse gegossen und mit heißem Wasser aufgefüllt. Welche Geschmacksexplosion! Frischer Kräutertee schmeckt ganz anders als Tee aus getrockneten Blättern! Was für mich ein Segen war, denn bis dato mochte ich eigentlich keinen Kräutertee. Alsbald wurden wir nach draußen in ihren riesigen Garten geschickt, in dem alles so wuchs, wie es Mutter Natur arrangiert hatte. Ein gigantisches Dickicht aus den unterschiedlichsten Pflanzen, die mir teilweise bis über den Kopf wuchsen. Auf gemähten Wegen wanderte unsere kleine Frauengruppe durch Helgas Garten Eden und hielt Ausschau nach Pflanzen, die uns irgendwie ansprachen. Das war für die damalige Zeit durchaus verwegen. Wir wussten auch nicht, warum wir ein kleines Pflanzenteil mitbringen sollten. Das wurde uns allerdings klar, als sie jedem von uns auf den Kopf zusagte, welche gesundheitlichen Weh¬wehchen uns derzeit plagten. Große Überraschung bei allen. Woher wusste diese Frau, die uns alle zum ersten Mal sah, wo bei uns der Schuh drückte? 

Nun, wie sich herausstellte, war Helga überzeugt davon, dass jeder Mensch instinktiv weiß, was ihm/ihr fehlt. Wenn wir die passende Pflanze sehen, die uns helfen kann, ins natürliche Gleichgewicht zurück zu kommen, würden wir uns davon angezogen fühlen und sie auswählen. Dass dies funktionierte, hatte sie eindrucksvoll demonstriert. Und das hatte mich total überzeugt, denn es entsprach meiner eigenen Überzeugung, obschon ich mir zu diesem Zeitpunkt darüber noch gar nicht selbst klar war. 

 

Dieser Impuls war extrem wichtig für mein gesamtes Leben. Viele Kurse weiter, viele private Treffen später, schrieb ich Helgas Geschichte für ein Porträtbuch, an dem ich arbeitete: „Unerhört weise“. Helga war eine der ersten Frauen, die mir zum Thema Weisheit einfielen. Ihre Weisheit hier weiterzugeben ist mir ein echtes Anliegen. Damit gleichzeitig dafür zu sorgen, dass ihre Weisheit nicht verloren geht, ist in den letzten Jahren, die wir als Autorinnenteam an diesem Projekt gearbeitet hatten, Ansporn für uns alle gewesen, dieses Buch nun tatsächlich herauszugeben.


Aus: Ungeduld

Heute lade ich Sie ein, mich auf eine Reise zu begleiten. Eine Reise in die Freuden, die Abenteuer und Frustrationen der Abgründe der Ungeduld. Sie sind zu Gast auf der Bühne des Lebens. Beginnend mit der Beschreibung einer meiner morgendlichen Teilekonferenzen, reisen wir nun los: 

Ego States on Stage, please!! 

Wie jeden Morgen, schon kurz bevor ein Auge aufgeht, beginnt die Diskussion, wer denn nun heute Morgen aufsteht und wer als erster die Bühne betritt. 

Die Prinzessin? Kommt überhaupt nicht in Frage! Keineswegs wird sie auch nur den kleinen Zeh bewegen, bevor nicht der Kaffee serviert wurde. 

Genauso wenig wird die Diva das tun, die gerade, angesichts dieser unverschämten Frage, irritiert eine Augenbraue hochzieht. Wieso sollte sie sich aus dem Bett bewegen? Was ist denn das für eine Aufforderung, mitten in der Nacht? Es ist ja schließlich erst 6:00 Uhr! Es kann ja wohl nicht sein, dass man sie überhaupt angesprochen hat. Das muss sie wohl geträumt haben! 

Während die Unordentliche noch überlegt, wo sie gestern die Goldsandaletten der Prinzessin verbummelt hat, haben sich der Faulpelz, der Genießer, der elegante Schöngeist und die Trödeltante bereits verbündet und sich den ersten beiden angeschlossen. Im Verbund mit Prinzessin und Diva sehen sie die größten Chancen der Vertretung ihrer Interessen. 

Zu diesem Zeitpunkt geben die Gnadenlose und die Ungeduldige, deren Prinzip: “Alles oder Nichts! Und zwar SOFORT!“ heißt, meistens frustriert auf und drehen sich wieder um. Es ist ja am frühen Morgen bereits zu sehen, dass das auch heute wieder NICHTS wird. 

Wie immer, wenn Alles und Nichts miteinander kämpfen, gewinnt das Nichts! Nun ist die Bühne frei für den Philosophen, der das Ganze erst mal von einer übergeordneten Warte betrachtet und sich mit dem Träumer und der Esoterikerin auf “ONE DAY ILE (I‘LL)“ begibt. Die Insel der ewigen Ruhe: Eines Tages werde ich! Dort wird erst einmal alles in Ruhe besprochen. Meistens gesellt sich der Idealist dazu, und spätestens jetzt geben die Unternehmerin, der Forscher und die Kreative auf. 

Unterstützt werden sie vom Seminar-Junkie, der ihnen freudig zustimmt, man weiß ja schließlich noch nicht genug, um wirklich etwas damit anfangen zu können! Die Gelassene hat die Bühne schon vor Jahren verlassen und hat die Klare und die Entschlossene mitgenommen, was wiederum die Großzügige so sehr bedauert, dass sie die meiste Zeit schmollend in der Ecke sitzt, weil sie viel zu selten mitspielen darf - und in diesen seltenen Fällen vom Neider und vom Finanzberater gleichermaßen belächelt wird.

Während der Heiler noch meckert: „Das tut doch alles nicht gut. Ihr wisst doch alle, dass das ungesund ist!“, mault der Sportmuffel: „Haltet alle die Klappe! Es regnet, es ist zu kalt (oder zu warm) und überhaupt, ich bin zu müde. Lasst uns morgen darüber sprechen.“ 

Der Kritiker mischt sich schließlich ein und sagt zum Regisseur:

„Ich hab‘ dir gleich gesagt, dass das nichts wird. Nur irgendeiner sollte jetzt langsam mal auf die Bühne!“

 

„Der vollkommene Weltmann 

wäre der, welcher

nie in Unschlüssigkeit stockte 

und nie in 

Übereilung geriete.“ 

Arthur Schopenhauer

 

Woraufhin die Praktische vorschlägt: „Am besten, du sagst dem Bühnenbildner gleich Bescheid. Es muss schließlich umgebaut werden für den ewigen Selbstzweifler und die Unsichere, damit der Vorhang heute überhaupt noch aufgeht!“ 

 

Ja, meine Damen und Herren, so geht das jeden Morgen. Seit Jahren. Ach, was sage ich, seit Jahren? Seit Jahrzehnten geht das so. 

Und damit nicht genug. Wenn mein Chemiewerk es dann schließlich geschafft hat, irgendeinen ins Labor zu treiben und danach der Kettenraucher dafür gesorgt hat, im Wachzustand zu bleiben, zumindest halbwegs, wiederholt sich die gleiche Diskussion im Badezimmer.

Die Prinzessin will sich sofort wieder hinlegen, die Diva natürlich auch... und so weiter und so fort. Meistens gewinnt der Kettenraucher und setzt sich erst mal gemütlich hin, mit dem Kaffee, der der Prinzessin, ganz im Sinne des Sportmuffels, viel zu früh serviert wurde. Da weder die entschlossene Unternehmerin noch sonst irgendjemand im Haus zu sein scheint, überredet er den Genießer und die Trödeltante, einfach sitzen zu bleiben, bis die anderen sich bequemt haben, die Augen zu öffnen und mal in ihr Skript zu schauen... Und dann? Ja, dann geht die ganze Diskussion natürlich von vorne los. 

Der eine will in Ruhe baden, die andere wartet darauf, dass jemand das Wasser einlässt und vorgewärmte Handtücher bereitlegt, der nächste will rasch duschen und so weiter. Wer gewinnt? Erraten! Der Kettenraucher, der nun, bei einem weiteren Kaffee, mit dem Esoteriker darüber verhandelt, ob es nicht besser sei, erst mal eine Meditation zu machen, danach das Augentraining, bevor man überhaupt in Erwägung ziehen könnte, ins Bad zu gehen. 

Sollte dies tatsächlich zeitnah geklärt werden können, stellt sich die Frage: Wozu das Ganze? Wenn die von ewiger Aufschieberitis befallene Perfektionistin sich nicht bereits zu diesem Zeitpunkt in Bewegung setzt, wobei sie von der Gastgeberin, in Zusammenarbeit mit der Ungeduldigen, auch ein wenig gezwungen wurde, geht die ganze Diskussion natürlich vor dem Kleiderschrank erneut los. Da die Gastgeberin hier bereits schon unter enormem Zeitdruck steht, damit wenigstens die wichtigsten, existenzsichernden Termine eingehalten werden können, müssen sich jetzt alle beeilen, was natürlich nicht gerade zur Erheiterung der ganzen Gesellschaft beiträgt. 

Steht allerdings nichts Existenzbedrohliches an, gewinnt auch hier wieder der Kettenraucher und so geht es den ganzen Tag, Kaffee trinkend und rauchend, weiter. Der Kaffee wird dann am Abend durch andere Getränke ersetzt. Auch dieses Jahr werden schließlich wieder die Milliarden- Einnahmen der Tabaksteuer gebraucht! Uli Stein bemerkte hierzu einst sehr treffend: „Ein schlichtes Danke würde mir schon reichen.“

 

Tja, meine Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser, die Gastgeberin, die ja das ganze Theater leiten musste, war mit sehr, sehr vielen Inszenierungen beschäftigt, ziemlich gestresst und manchmal auch sehr müde. Es wurde immer schwieriger, noch irgendeinen Bewohner von ONE DAY ILE dazu zu bringen, überhaupt aufzustehen und sich anzukleiden, um auf die Bühne zu gehen. So fragte sie sich eines Tages: „Wer ist denn hier eigentlich der Produzent?“ Und vor allem: „Wo? Wo ist er eigentlich? Wo ist denn hier der Auftraggeber, der die Autoren, die Intendanten und Regisseure beauftragt? Wo ist der, der die Kosten übernimmt für dieses Theater?“


Aus: Meine Füße sind meine Flügel

ein Wort

ist wie ein warmes Herdfeuer

wie beißende Feuerteufel

ist kühle, heilende Hand

oder alles verschlingender Wasserstrudel

ist Wurzel und Halt

und ein Kerker

ist der Weg der Freiheit

und ein erschossener Vogel

ein Wort 

ist keine klingende Münze

kein Automat

ob wandernder Schatten

oder Aufwind

wem vertraust du?

 

von Daniela Falkenberg 


Aus: Bedingungslose Annahme

von Andreas Nager

 

Der verwundete Heiler

Ein fundiertes Fachwissen und technische Kompetenz sind wichtige Voraussetzungen für das erfolgreiche Ausüben eines therapeutischen Berufes. Doch die einseitige Ausrichtung unseres heutigen Gesundheitssystems auf Technik und Fachwissen geht immer mehr auf Kosten der menschlichen Qualitäten. Die essentielle Grundlage jedes wirksamen therapeutischen Arbeitens ist der heiltätige Mensch selber. Jeder therapeutisch tätige Mensch „hat nicht nur eine Methode: er selber ist sie.“  Der Inhalt seiner persönlichen Lebensgeschichte hat einen wesentlichen Einfluss auf den Heilerfolg. 

„Nur wo der Arzt selber betroffen ist, wirkt er.“, schreibt C.G. Jung in seiner Autobiographie. „Nur der Verwundete heilt.“  Das Motiv vom „verwundeten Heiler“ dreht sich um den schöpferischen Umgang des Therapeuten mit seiner eigenen Verwundung, seinem persönlich erlebten Schmerz und Leid. Seine an Leib und Seele durchlittene Auseinander-setzung mit eigenen Verletzungen und Nöten ist das Kapital, welches er - neben seinem Fachwissen - mitbringt, um andere Menschen von ihrer Wunde zu heilen. Nur wer den dreistufigen Prozess von Leiden, „Zu-Grunde-Gehen“ und wieder Auferstehen selbst durchlebt hat, ist qualifiziert, mit seinen Patienten in eine Beziehung zu treten, die Heilung ermöglicht. Nur derjenige Therapeut, der einen offenen und bewussten Umgang mit seiner eigenen Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit pflegt, ist imstande, seinem verwundeten Gegenüber in echter Resonanz zu begegnen - mit Einfühlungsvermögen und aufrichtigem Mitgefühl. 

 

Der Archetyp des verwundeten Heilers begegnet uns in der Mythologie, im Schamanentum und besonders eindrücklich in der Person von Jesus. 

Die großen Heilkundigen der griechischen Mythologie, wie Chiron oder Asklepios (Äskulap), wurden erst durch die bewusste Auseinandersetzung und Überwindung ihrer persönlichen Verwundungen zum Heilen befähigt. Sie alle mussten aufgrund ihres Leidens den Abstieg in die „Finsternis der Unterwelt“ begehen. Durch die Konfrontation mit ihrem Unbewussten, durch die Aussöhnung mit ihren „inneren Dämonen“ konnten sie ihr Bewusstsein erweitern.

Im Altertum herrschte die Vorstellung, in jeder Krankheit sei Göttliches wirksam. Folglich konnte eine Krankheit nur durch das Göttliche geheilt werden. Nur dem, der den Abstieg ins Dunkel der Unterwelt gewagt hatte, stand der Aufstieg zu den Göttern und die daraus resultierende Heilung offen. Heilung geht immer mit einer Bewusstseinserweiterung einher. 

Symbol des Arztberufs ist der „Äskulapstab“, ein Stab, um den sich eine Schlange windet. Das nach oben Kriechen des erdverbundenen Tieres symbolisiert den zur Heilung erforderlichen Bewusstwerdungsprozess. Eigentliche Aufgabe eines Arztes ist es also, seinen Patienten auf seinem Weg zu einem höheren Bewusstsein zu begleiten. Ob dies mit dem – heutzutage gängigen – bloßen Verabreichen eines Medikaments erreicht wird, ist zu bezweifeln. Die für jeden Heiler notwendige Fähigkeit, eine Verbindung zwischen Irrationalem und Bewusstem zu schaffen, veranschaulicht auch Chiron, der Lehrer von Äskulap und wohl bekannteste verwundete Heiler der Antike. Er war ein Kentaur: halb Mensch, halb Tier. 

Auch im Schamanentum unterschiedlicher Stammeskulturen begegnet uns das Motiv vom verwundeten Heiler. Im Verlaufe seiner Initiationskrise muss der designierte Schamane die drei Stadien von Leiden, Tod und Auferstehung durchlebt haben, bevor er in den Kreis der „Erwählten“ aufgenommen wird. Nur über das eigene schmerzhafte Erleiden von oft  dramatischen physischen und psychischen Symptomen erfährt er eine innere Wandlung, die ihn schließlich befähigt, die heilige Rolle eines Medizinmanns und Heilers zu übernehmen.

In der Einsamkeit der Wildnis, ganz auf sich selbst gestellt, begeht er den Abstieg in die Unterwelt. In der Konfrontation mit übernatürlichen Kräften und Geistern lernt er, schöpferische Wege zu finden, die ihn von seiner Verwundung oder Krankheit heil werden lassen. Dieser intensive Prozess öffnet ihm die Tore zu verschiedenen Bewusstseinszuständen. Er wird zum Vermittler zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt.

Der bedeutendste Brückenbauer zwischen den zwei Welten war ohne Zweifel Jesus. Sein Dasein im Spannungsfeld von Mensch-Sein und Gott-Sein erforderte viel Kraft. Es war von hoher Intensität, voller Herausforderungen. Nicht erst seine Kreuzigung, sondern viele vorherige Stationen seines bewegten Lebenslaufs zeugen von einer tiefgehenden Begegnung mit Leid und Schmerz: die vierzig Tage in der Wüste, seine Begegnung mit dem Teufel, die Anfeindungen durch das eigene Volk, die Todesängste am Vortag seiner Hinrichtung. So paradox es klingt: Diese Verwundungen erst machten ihn heil, machten sein Wesen vollkommen. Sie weckten seine Barmherzigkeit, verliehen ihm sein unbegrenztes Mitgefühl, formten ihn zum „Heiland“, zum Heiler und Erlöser der Welt.

Wie wir am Vorbild der antiken Heiler, der Schamanen und von Jesus erkennen können, erfordert wahre Heilkunst mehr als fachliche Kompetenz. Sie erfordert den ganzen Menschen. Vor allem bedarf sie der Fähigkeit des Heilers, Verbindung zu schaffen und mit leidenden Mitmenschen in mitfühlende Resonanz zu gehen. Dies kann nur derjenige, der an eigenem Leib und eigener Seele Leid und schmerzliche Verwundungen durchstanden und ihren entwicklungsfördernden Sinn erfahren hat. Nur der verwundete Heiler, der durch bewusstes Ringen mit dem Dunkel seiner Unterwelt den Kontakt zum Licht eines übergeordneten Sinns gefunden hat, wird zum erfolgreichen Mittler und Medium zwischen Diesseits und Jenseits. Durch ihn können Erde und Himmel einander berühren. Diese Verbindung ist die Wurzel wahrer Heilung.


Aus: Wild und heilsam

Angelika – Engelwurz

 

Angelika, Angelika,
Du stehst auf meiner Wiese.
Dein Blütenduft weht in mein Haar,
ich will die Augen schließen.
Und träume dann,
Du kommst zu mir
und nimmst mir meine Angst.
Du bist so groß,
ich weiß genau,
dass Du das sicher kannst.
Im Herbst dann
nehme ich Dein Rohr
und schnitz mir eine Dose.
Da leg ich meine Ängste rein
und steck sie in die Hose.
Da sind sie dann
ganz nah bei mir,
sie sind mir wohl bekannt.
Die Dose aus Angelika,
die hat sie fest gebannt.
Angelika, Angelika,
Du bist so groß und schön.
Du hältst mir meine Seele warm,
mir kann nichts mehr geschehen.

 

von Insa Hilbers & Roswitha von der Graefe



Aus: Von guten Mächten sanft behütet. Erinnerungen einer Flucht aus Ostpreußen“

von Willi Chmielewski

 

(…) So ging der zehnte Tag der Flucht zu Ende. Es blieben die ängstlichen Gedanken: „Wie wird es wohl morgen sein?“ Heilsberg war die größte Stadt, die wir passieren mussten. In den Häusern für 15000 Einwohner hatten sich die Russen festgesetzt. Würden da auch richtige Straßenkämpfe entstehen? Nur kurz waren die Sorgen über den nächsten Tag, wir waren so müde, dass wir die Sorgen und den Hunger vergessen hatten und dank des Liegeplatzes unter dem Tisch, bald eingeschlafen waren.

Nachbetrachtung: Wir hatten keine Gelegenheit Radio zu hören. Hitler hatte zu seinem zwölften Jahrestag der Machtergreifung eine Rede gehalten, so als hätte er noch Macht. Diese für uns verlustreichen, traurigen Tage waren verhältnismäßig  klein und unbedeutend, gegenüber den Erlebnissen, die andere erleiden mussten. So geschah in dieser Nacht, in der Heinrich mit Willi unter dem Tisch (wohlbehütet) geschlafen hatte, die größte Schiffskatastrophe der Welt. In dieser Nacht war das mit Flüchtlingen überladene Schiff, die „Wilhelm Gustloff“, von einem russischen Unterseeboot torpediert worden. An der Unglücksstelle herrschte eisige Kälte und starker Schneesturm. (Es war wohl dasselbe fürchterliche Wetter gewesen, dass am 29. Januar im Heilsberger -Kessel getobt hatte.)   In wenigen Minuten sank das große Schiff mit den Flüchtlingen, die sich schon geborgen fühlten. Nur wenige wurden aus dem eiskalten Wasser mit Unterkühlung gerettet. Nach neusten Aufrechnungen starben bei dieser größten Schiffskatastrophe der Geschichte, 9343 Menschen, also  annähernd der zehntausend Menschen. Im Vergleich: bei dem legendären Untergang der Titanic – von dem mehr gesprochen wird – starben 1517 Menschen.

Wie groß muss die Engelschar sein, um allen in Not geratenen Menschen zu helfen?
In aller Stille gingen in unserem voll besetzten Raum fast alle Menschen schlafend in die Nacht hinein. Wir hörten auch den Kriegslärm nicht, der uns ständig durch einen Schusswechsel verschiedener Lautstärken  begleitet hatte.

Doch was war mit mir denn so plötzlich los? Ich wurde unruhig, - keiner ruft mich - keiner stößt mich an,-  und doch bin ich schlaftrunken wach. Ich richte mich ohne einen erkennbaren Grund auf. Es ist dunkel und ich sehe niemanden. – Hatte ich meinen Verstand verloren? Wie von einem unsichtbarem Geist getrieben, verlasse ich auf Knien kriechend die Schlafstelle unter dem Tisch, stehe auf und wandere in diesem dunklen überbelegten Zimmer,  ohne etwas anzuecken oder einen auf dem Fußboden liegenden Menschen zu treten,  zur Zimmertür. Ich musste wohl in diesem Augenblick ein anderes Augenlicht gehabt haben, ohne das gewöhnliche Tasten erreichte ich auch die Treppe und wahrlich mit Engelshilfe stieg ich diese in völliger Dunkelheit herunter.  Ich öffnete die Haustüre und stand nun in der kalten, verschneiten Winternacht draußen auf der Straße. – Warum das alles? Nun, eine Toilette zu suchen brauchte ich nicht, denn ein Körper, der zwei Tage nichts gegessen und nichts getrunken hatte, brauchte so etwas nicht! Die Hauptstraße, die vor mir lag, war menschenleer. Kein Wunder, denn es herrschte ein Stopp. Vor uns in Heilsberg war jetzt schon russisches Gebiet, da wollte niemand hin. Meine Augen gingen nach rechts gen Westen und sahen einen von einem Schimmelpferd gezogenen Kastenschlitten näherkommen.

Wie der Schlitten quer vor mir im ruhigen Schritt gezogen wurde, musterte ich nur diesen. Keine andere Bewegung lenkte mich davon ab. Etwas Besonderes hatte er schon, denn es war  ein Arbeitsschlitten zivilen Ursprungs (einen militärischen Schlitten habe ich noch nie gesehen). Hinter dem Schlitten war ein erbeutetes russisches schweres Maschinengewehr angebunden. Auf dem Schlitten saßen fünf deutsche Soldaten in Wintermänteln und Ohrenschützern. Und unter einer übergehängten Wolldecke lugte das schmale Gesicht unserer hübschen, siebzehnjährigen Nachbarin, Traute Lorenz heraus! Erstaunlich schnell erkannten wir uns gegenseitig und riefen uns zu. Traute hatte die Soldaten gebeten, anzuhalten. In aller Eile tauschten wir  unsere Schicksale aus. „Kommt doch mit“, rief Traute. Mit welcher Überzeugung die Soldaten Traute auf ihren Schlitten aus der Familie nahmen, lag auf der Hand. Die Soldaten ahnten von dem drohenden Schicksal der Flüchtlinge. Der Unteroffizier, der ihr im Kellerquartier von Samlak seine Liebe schwor, hatte sie aufgeklärt, in welcher Gefahr sie sich befand, und dass dies ihre letzte Rettung wäre.

 


Aus: Die Worterfinderinnen – Die nackte Wahrheit im pinken Bademantel

Mandela

 

Er lebt in allen, wenn wir alle unser Licht leuchten lassen. Dann geben wir anderen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir alle beginnen, aus uns dieses Licht der Ewigkeit hervor zu bringen, wird sich für uns etwas Grundlegendes ändern: Wir werden sehen lernen. Wir werden uns wahrnehmen. Wir werden uns erkennen als ewige Momente der fließenden Richtungen, in denen wir gemeinsam das Ganze erzeugen. Wir werden wissen, dass die Erscheinung der Dunkelheit nichts anderes als die Tiefen unserer eigenen Schönheit sind, aus der wir unsere liebevollen Ideen schöpfen, um neues Leben zu erschaffen. Wir werden spüren, dass der Raum uns geschenkt wurde, um Freiheit zu erfahren. Frei von Vergänglichkeit und Begrenzungen, frei von Hochmut und von Angst gebären wir alle dieses Licht, als Mütter und Väter des einen großen Geistes. In diesem Geist sind wir der Strom, der sich immerzu selbst hervor bringt.
Wenn wir leuchten, beginnen wir zu fühlen, dass alles, was wir anderen antun, uns selbst verletzt und jeder Moment, dem wir unsere Liebe schenken, wird ein Funken im Herzen unserer Schöpfung sein.
Von Ilka Luiken


Blattgeflüster


Oben, hoch oben blicke ich in die Weite. Ich bin still, ganz still, bewegungslos, ruhe schweigend. Vieles könnte ich erzählen von Tagen und Nächten, von rauen Zeiten und sanften Sonnenaufgängen. Ich habe zwei Seiten, bin dunkel und hell, glatt und rau, spitzig und rund, einfarbig und bunt. Bin schon alt, warte auf die nächste Phase, in der ich mich wieder verändere. Ein Wind kommt auf, ich beginne zu tanzen, flattere und schnattere.
Ich spende dir Schatten, wenn die Sonne zu heiß brennt. Ich sehe den Schein des Mondes, hell und klar und spüre den Regen, der mich erfrischt und reinigt. Aber jetzt muss ich gehen.
Ich beginne zu fallen, segle, taumle, schwebe anmutig zu Boden. Ich schrumpfe, werde bröselig und braun, verbinde mich mehr und mehr mit der Erde, bis ich wie sie bin.
Warte bis zum nächsten Jahr. Dann komme ich wieder. Zart und klein zunächst, langsam größer werdend, entfalte ich mich zu meiner vorbestimmten Form. Und das Leben beginnt neu.
Friesa Mintken


Aus: Tierisch weise – 7 Fabeln über Liebe, Licht und Herzenskraft

von Anita Balcke-Küster


…. Da geschah etwas Außergewöhnliches. Es fielen weiße Federn vom Himmel. Kleine, weiche, zarte Federn. Wenn man sie berührte, hatte man das Gefühl, der Himmel persönlich berühre einen. In diesem Moment wurde sich das Einhorn der Kraft, der es zugeteilt war, wieder bewusst. Es war ein Wesen des Himmels.
Über die große Verzweiflung des Einhorns legte sich ein "himmlischer Frieden". Es spürte, es war nicht allein.  Es war, als würde jemand es begleiten, ganz nah bei ihm sein und ihm Kraft geben. Da schloss es die Augen, atmete tief ein und aus und machte nichts weiter, als sich mit dieser himmlischen Kraft zu verbinden.
Über diese Verbindung kam die innere Ruhe zurück und die Erkenntnis, dass - wenn man vertraut - das Leben immer gut und göttlich für einen verläuft. Aber die wichtigste himmlische Botschaft war wohl, dass es im Leben nur einen Weg gibt, nämlich den des Herzens. Und so lebten das Einhorn und der Bär glücklich bis an ihr Lebensende.
Und die Weisheit der Geschicht: Vertraue der himmlischen Macht, welche über dich wacht, vertraue dem Licht, welches über dein Herz zu dir spricht!


Aus: Rusty packt aus. Die Welt aus Katzenaugen.

Von Fritz Stefan Valtner

Ratzfatz hatte ich den Zaun überwunden und lief so schnell wie ich konnte zum Anbau rüber. Den hatte ich noch nicht inspizieren können. Zum Glück stand die Tür zum Arbeitsraum etwas offen und ich flutschte hinein. Ich hatte Glück, dass mich keiner gesehen hatte. Jetzt konnte ich in aller Ruhe jeden Quadratzentimeter abgehen, ohne dass mich einer störte. Es gab viel zu entdecken. Dann stand ich vor einem Karton. He, den kannte ich. Den hatte ich doch schon einmal beschnuppert. Was war das? Der Deckel stand offen. Ich hangelte mich hoch und fiel dann in den Karton hinein. Er kippte um und fiel so unglücklich, dass ich nicht mehr heraus kam. Jetzt war ich gefangen. Gute Nacht! Wer soll mich jetzt hier finden?

 

Draußen tat sich nicht mehr sehr viel. Offensichtlich war mein Ziehvater mit dem Mähen des Rasens fertig. Ich hörte kein Motorengeräusch mehr. Dann wurde etwas hinein geschoben in den Raum, wo ich festsaß. Dann fiel die Tür schwer ins Schloss.


In meiner Aufregung hatte ich vergessen, mich bemerkbar zu machen. Jetzt war ich allein in dieser blöden Kiste eingesperrt. Zum Glück waren noch ein paar Kleidungsstücke im Karton.


Die legte ich mir zurecht  und machte es mir etwas gemütlich, in der zarten Hoffnung, dass bald einer kommt und mich aus dieser dummen Lage herausholt.

 

Aber scheinbar wurde ich nicht vermisst. Das gab es doch nicht! Die vermissten mich einfach nicht. Nach einer gefühlten Stunde zog ein feiner Geruch um meine Nase. Hatten die etwa den Grill angemacht, ohne auf mich zu warten? Ich wurde schon ganz wild in meinem Karton. Aber je mehr ich hier drin herum tobte, umso stärker schien er sich zu verkanten und dadurch wurde der Deckel immer stärker gedrückt, so dass er sich kaum mehr lösen konnte.


Plötzlich stieg mir der Geruch einer zarten Putenbrust in meine Nase. Mir lief das Wasser im Munde zusammen. Was mich jetzt wirklich wütend machte, war die Tatsache, dass meine Schwester, die Faulenzerin, jetzt von dieser zarten Putenbrust einen Happen nach dem anderen abbekommt, während ich hier schmachten musste. Ich versuchte so laut ich konnte zu miauen. Aber mehr als ein Krächzen bekam ich nicht heraus. Da kann ich nur neidisch auf meine Schwester schauen. Die kann stundenlang miauen und das in einer Lautstärke, die selbst die Kaffeemaschine übertönt. Die hört man überall. Aber ich? Ich kann das leider nicht. Oder bin ich einfach zu dumm dafür? Ich weiß nicht, was mir in diesen Minuten durch den Kopf ging.


Noch Stunden später zog mir der Duft der Putenbrüstchen durch die Nase. Waren die immer noch nicht fertig damit? Sollte ich hier verhungern und draußen merkt keiner, dass ich nicht anwesend bin? Eigentlich unfassbar. Es wurde schon langsam dunkel, dies konnte ich durch ein kleines Loch im Karton sehen.


Dann hörte ich, wie man mich rief. “Rusty, wo bist du? Wo ist denn unser Käztzelein?”  Wie blöd, ich war doch hier. Hier im Karton! Wo suchen die überhaupt? Plötzlich ging die Tür auf. “Rusty, bist du hier?” Bevor ich die Situation erfasst hatte und ein leichtes Krächzen hervor brachte, war die Tür schon wieder zu. War das alles? Von draußen hörte ich, dass man immerzu meinen Namen rief. Aber wie sollte ich antworten? Dann hörte ich zu allem Überfluss noch meine Ziehmama sagen: “Sie wird hoffentlich wieder kommen? Jetzt können wir nur noch abwarten.” „Toll“, dachte ich noch bei mir, „da sitzt du hier fest und die bekommen das nicht einmal mit.“ Es wurde eine lange Nacht.


Am nächsten Tag versuchte ich schon frühzeitig zu lauschen, ob sich bei denen schon etwas tat. Aber alles blieb still. Sollte ich etwas verpasst haben? Dann aber hörte ich, wie das Garagentor hochgefahren wurde. Ich hörte das Starten des Motors. Türen gingen auf, das Garagentor fuhr wieder runter. Der Motor heulte kurz auf und dann eine untrügliche Stille. Fahren die einfach weg? Das gibt es doch nicht. Keine Suche nach mir? Einfach nichts! Haben die mich schon abgeschrieben? Oder was? Ich spürte, wie in mir die Wut hochstieg, aber ich musste ja ruhig bleiben. Ich versuchte das Loch im Karton zu vergrößern. Aber das war ein sehr schwieriges Unterfangen.


Ich kam mir vor, als wäre ich in Fort Knox und versuchte dort auszubrechen. Eine meterdicke Mauer mit einem Teelöffel zu durchbrechen. Wahnsinn! Eine Aufgabe fürs Leben. Wie viele Leben habe ich schon hinter mir, dachte ich bei mir und machte noch eine Zeit weiter. Aber eine Vergrößerung des Loches konnte ich nicht feststellen. Ich legte eine Pause ein. Stunde um Stunde machte ich dann weiter. Aber einen Erfolg konnte ich nicht sehen. So verging wieder ein Tag. Eines aber plagte mich noch viel mehr, und das war der Hunger. Wenn ich da an den Duft der Putenbrüstchen von gestern dachte, lief mir das Wasser aber als Sturzbach im Munde runter. Jetzt hatte ich nicht nur Hunger unter den vier Achseln sondern auch noch Durst ohne Ende.


Ich kam mir vor, als würde ich schon wochenlang durch die Wüste Gobi laufen. Ich war mit den Nerven am Ende. Ich hörte schon Stimmen, die es gar nicht gab. Aber so sehr ich mich anstrengte, draußen war es absolut still. Keine Stimme, kein Auto, kein Quäken meiner Schwester. Wo waren die eigentlich? Hoffentlich kommen die bloß bald wieder zurück. Ich war schon der Verzweiflung nahe, oder konnte ich schon “dem Wahnsinn nahe“ sagen? Ich wusste es nicht. Verflixt und zugenäht, wo waren die nur? Die Zeit lief so langsam dahin, dass ich wirklich bald dem Wahnsinn nahe kam.


Nach Stunden, oder waren das schon Wochen gewesen, hörte ich ein Geräusch, das mich aufhorchen ließ. Kam mir bekannt vor. Ich hörte eine Klappe. War doch nur der Briefträger. Mensch, wo war die Dienerschaft bloß? Ich hänge hier fest, kann mich kaum bewegen und die streifen irgendwo in der Weltgeschichte umher. So ein verdammter Mist. Trotz meiner miesen Lage versuchte ich es mir so bequem zu machen, wie es die Umstände zuließen. Ich schlief ein.